Kurze Info - ein Buch erscheint in ca. 5 Bänden - als Kapitel – in Zeitabständen


Die Autoin:  begegnet der Tragik mit bissigem Humor – ignoriert ihren Identitätsverlust und ihre Wut - schöpft aus ihrer Panik und Angst Selbstironie und schreibt mit einem befreienden Lachen mitten im Schmerz.

Wer ist sie? - Autorin (60), und sie weiß immer noch nicht, was sie tut 


Kapitel 1 - Wurm trifft Ei 


Was bisher geschah...

Nichts.
Noch gar nichts.
Herrliche Dunkelheit - traumhafte Stille. Ein Moment, den man ewig genießen kann -  Atme noch einmal tief durch.

 

Moment - was ist das? Da - seht Ihr das auch? Aus der Dunkelheit erscheint plötzlich ein kleines Licht, es kommt direkt auf uns zu. Was haben wir denn hier? Ein völlig übermotiviertes Würmchen von irgendwo her.

Völlig nervös und hektisch scheint es auf der dringenden Suche nach einer Bedeutung zu sein.

Oh ha, da kommen noch mehr von denen - noch viel mehr.

Ein ganzes Lichtermeer aus Millionen von Würmchen stürmen in das Nichts, und plötzlich ist diese schöne Stille vorbei.

Jetzt kommt Bewegung in dieses gewagte Spiel. Ein Rennen ohne Ziellinie, Millionen winziger Existenzen, die um den ersten Platz schwimmen, als gäbe es danach eine Siegerehrung.

Während die Anderen noch um ihr Leben schwimmen, stößt dieser eine schnellste Wurm durch die Mauer des Lebens -  mit einem "Blu-ubb" - direkt ins Unbekannte.

Bang...🎈

"Bin ich drin? Ich bin drin, oder? Ich bin wirklich drin!“ jubelt es laut, und das Universum applaudiert, als wäre es das erste Mal.


„Erster! Ich bin tatsächlich Erster! … Ähm - hallo? Ist hier jemand? Was muss man denn hier machen? Hallo?“


In diesem eiförmigen Raum aus Glibbermasse spricht eine gelangweilte Stimme zu dem Wurm, der es wagte, ihr Inneres zu betreten:


"Ok, mein Lieber, was willst du hier? Und antworte schnell, meine Zeit ist knapp!"

 

Er schwänzelt aufgeregt in ihr herum, und als sie merkt, dass er keine Ahnung hat, warum das Universum ihn so schwänzeln lässt, klärt sie ihn auf:

 "Na schön mein Lieberwenn du schonmal da bist… lass uns anfangen, bevor die Zeit abläuft!"

 

Die beiden beginnen in der Zelle einen alles entscheidenden Tanz und verbinden all ihre Fäden miteinander, bis sie verschmelzen und schneller werden, und immer schneller werden, bis -  sich mit einem Mal die Zelle teilt, und teilt, und nochmal teilt, und weiter teilt. Es scheint eine Endlosschleife zu werden, aus einer unerschöpflichen fast unmöglichen Arbeit. Stunden, Tage, drei Wochen, bis plötzlich etwas pulsiert - sich bewegt - es zuckt - und es findet einen Takt - einen rhythmischen Takt, der wundersam stabil bleibt.

Ein winziges Bewusstsein bildet so etwas wie Gedanken und gibt auf einmal ein leises Flüstern von sich, das lauter wird:

„Hallo? Hallo...? Ist hier jemand? Nein? Warum bin ich allein? Und warum zum Teufel lebe ich?“


Ab jetzt kann's nur noch kompliziert werden.

 

"Ok, ganz ruhig bleiben. Ich befinde mich offensichtlich in einer sicheren Blase. Gut, gut, eine sichere Blase also, die mich schützen wird. Ich schau mich erstmal um. Ok, was habe ich hier? Hier hängt eine Schnur! Oh, autsch, ok, daran darf ich nicht ziehen! Diese Schnur ist definitiv mit mir verbunden. Ah, da läuft etwas durch, direkt in mich hinein. Das fühlt sich wunderbar an. Ich habe keine Ahnung, woher dieser Saft kommt. Aber wenn interessiert es? Lass laufen!"

Während sich das Tummelchen in ihrem Fruchtsaft aalt, wachsen in den nächsten Wochen verschiedene Dinge aus ihr heraus. Über jedes dieser Dinge freut sie sich sehr und probiert alles aus. Monate vergehen. Inzwischen hört sie Geräusche, ganz dumpf, entfernt, irgendwo da draußen, außerhalb ihrer Blase sind Stimmen! Jetzt weiß sie, dass sie nicht allein ist.

Ihre Blase schaukelt, mal mehr, mal weniger. Wie ein fröhliches Fischlein im Wasser, taucht sie herum, dreht sich und macht Purzelbäume. Umso mehr die Blase schaukelt, umso müder wird sie, und dann schlummert sie ein paar Stunden.

Aber mit jedem Purzelbaum wird die Blase enger, bis sich das Tummelchen kaum noch bewegen kann. Sie versucht, ihre Füßchen auszustrecken:

"Verdammt, vor drei Wochen ging das doch noch! Jetzt wird es aber ganz schön eng hier. Es ist hier irgendwie ungemütlich geworden. Mein Fruchtsäftchen schmeckt auch irgendwie komisch. 

Ok - ich muss hier raus. Wo ist der Ausgang bitte? Und was ist das für ein Geschrei da draussen?

Hey, hey, hey, wer drückt denn hier auf mir herum? Wo kommt auf einmal das helle Licht her? Ist das der Ausgang? Durch diesen Tunnel soll ich mich zwängen? Wieso haben die denn den Tunnel so eng gebaut? Da passe ich doch niemals durch. Irgendetwas reißt an meinem Kopf. Was soll denn das? Jetzt zieh doch nicht so! Man, warte doch mal, ich hänge an meiner Schnur fest.

Oh - nee, das stresst mich total. Mein Tag ist jetzt schon versaut.

Ich hatte hier über 9 Monate meine Ruhe. Hab von meiner Schnur alles bekommen, was ich wollte, gratis. Hab mein Fruchtwasser getrunken und PiPi in die Blase gemacht. Warum ändert sich das jetzt? Ja, ok, ich bin halt ein bisschen dicker geworden, aber muss ich jetzt deshalb ausziehen?

Wie? … Der Aufenthalt war nur befristet?

Oh NEIN, das ist viel zu hell, mach doch mal einer das Licht aus. Jetzt wird es auch noch kalt, so kalt. Warum fühle ich mich so schwer, und warum hänge ich über Kopf? Ich krieg keine Luft… keine Luft… kei…..Luf….k....L...

Ah! Aua, ich werde verhauen. Sobald ich erwachsen bin, suche ich mir nen Anwalt. Aber - eigentlich hat der kurze Hieb geholfen, ich kann atmen, schon besser, ich kann atmen, das muss ich jetzt in die Welt hinausschreien."

Hinsetzen! - Der Akt ist noch nicht vorbei:

 "Es ist so kalt, es ist so bitterkalt und so laut und viel zu hell. Oh Nein! Nicht meine Schnur, doch nicht meine Schnur…

Jetzt haben die meine schöne Schnur zerschnitten. Woher krieg ich jetzt mein gutes Zeug?

Hey, hey, hey, hör mal auf, mich hin und her zu schwenken! Also mir reicht’s. Ich will zurück in meine Blase, sonst schreie ich hier den ganzen Laden zusammen…..,ähhhhhh….."   👶

Während das Universum dieses menschliche Stimmchen hören kann, dreht sich die Welt unberührt weiter.

 

Wir haben Frühling im Jahr 1966. Rita hat gerade in einer Ost-Berliner Altbauwohnung diesen kleinen Schreihals in diese Welt geholt.

Sie ist eine der letzten Hebammen, die in den späten 60igern noch eine Hausgeburt begleiten dürfen. Hausgeburten sind eigentlich nicht mehr üblich, ca. 98 % der Geburten werden in den staatlichen Kliniken durchgeführt.

 

Stunden zuvor lief Bernd in den frühen Morgenstunden durch die kalten Pfützen bis zu Ritas Tür. Er konnte nicht unterscheiden, ob er nass ist vom Regen oder vom angsterfüllten Schwitzen:

"Könnse schnell komm, bitte, ich glaub, jetzte gehts los..."

Wieso hat Bernd nicht einfach angerufen? Ich werde euch sagen, wieso Bernd nicht einfach anrufen konnte.

Er hat kein Telefon!

Nur ca. 10 Prozent der DDR-Bürger haben zu diesem Zeitpunkt das Privileg über einen eigenen Anschluss im Haus, und das Fräulein vom ostdeutschen Amt muss die Verbindungen noch ein paar Jahre von Hand stöpseln.

Sondertelefonnetze haben nur die Regierung, die Armee, die Polizei, Feuerwehr und Krankenhäuser.

Aber wusstet Ihr, dass hingegen in der westlichen Bundesrepublik schon ca. 90 Prozent der Bevölkerung ein eigenes Telefon im Haus hatten? Und 1966 wird auch die letzte Ortsvermittlungsstelle in Hannover stillgelegt.

 

Der 19-Jährige Bernd hält mit verschwitzten Händen seine kleine Tochter im Arm. Ein 3 kg schluchzendes Menschlein blinzelt mit ihren noch geschwollenen Äuglein ihren Erzeuger an:

"Na, Alterchen, hattest du auch so einen bescheidenen Tag wie ich?"

Bernds Gefühlswelt sitzt in einer Achterbahn. Irgendetwas zwischen Überwältigung und Panik ergreift ihn. Das kleine Lebewesen in seinem Unterarm ist seine Tochter. Dieser Winzling entstand aus einem Teil seiner biologischen Daten.

Ist er denn überhaupt bereit dafür? Und was zum Teufel hat er da nur getan?

Er hat vor einem Jahr die zwei Jahre ältere Sabine geheiratet, weil er kurz in sie verknallt war. Und wen überrascht es? Das Würmchen, das unsere anfängliche Stille störte, schummelte sich von Bernd in Sabines fruchtbares Glibber-Land.

Sabine hat schon zwei kleine Jungs aus einer vorherigen Beziehung - und hat sie mitgebracht, in diese junge Ehe.

 

Bernd denkt gerade an seinen Job bei der Schifffahrt und ist irgendwie erleichtert, dass er in ein paar Tagen wieder mehrere Monate unterwegs sein wird.

 

In den ersten Tagen wird Sabine von Rita betreut. Janin hat nun einen Namen, der auf einer Urkunde steht und ist damit offiziell angemeldet als Mensch in dieser Welt. Sie bekommt ihre Nahrung, wie vorgeschrieben.

Sabine geht es nicht so gut. Sie betrachtet ihre Tochter wie ein geliefertes Paket ohne Anleitung - aber ohne Rückgabeoption. Sie findet keine Verbindung zu ihrem dritten Kind.

Rita beruhigt sie: "Das kommt noch, hab etwas Geduld".

🍼

Janin wird regelmäßig gewogen, und ihr Gewicht wird in den ersten Monaten in eine Wiegekarte eingetragen. Es ist ein kleines graues Heftchen, und dieses Heftchen wird in einem der nächsten Kapitel, also viele Jahre später in dieser Geschichte, eine besondere Schlüsselrolle einnehmen.

Ritas Aufgabe in diesem Haushalt ist beendet.

Aber ihre Aussage, dass Sabine eine Bindung zu ihrem Baby finden würde, bestätigt sich nicht.

Irgendwo steht geschrieben, dass ein sanftes Liedchen im Arm, ein Wiegen bis zum Einschlafen oder ein zärtliches Streicheln beim Füttern förderlich für ein Baby wäre. Ach, papperlapapp - Das gilt nicht für jedes Baby.

Dieser Spruch wird doch einfach nur überbewertet. Oder?

Janin fragt sich: "Wo ist eigentlich der nette Typ, den ich am ersten Tag nach meinem Höllenritt aus meiner schönen Blase angeblinzelt habe? Den fand ich nett. Der fehlt mir irgendwie."

 

Nur das Pflichtgefühl veranlasst Sabine, das Menschlein mit dem Nötigsten zu versorgen und wechselt die Windeln weniger als nötig. Janins Badewasser ist mal zu heiss - mal zu kalt, während ihre Halbbrüder durch die Wohnung toben und Sabines Nerven strapazieren, weil sie Hunger haben.

Die Wiegekarte wird noch ein oder zwei Mal vom Kinderarzt ausgefüllt. Danach bleiben die Zeilen leer.

 

Sabines Zündschnur ist erreicht. Sie hat drei kleine Kinder, die toben und schreien. Sabine schmeisst mit Türen und Gegenständen. Bei jedem Knallen zuckt Janins Körperchen ängstlich zusammen:

 "Man, diese Rita hätte mir lieber die Ohren abreissen sollen, als sie mich aus dem Tunnel gezogen hat!"

Sabine braucht Ablenkung. Da hilft nur Party. 

Sie öffnet das Fenster und sieht ihren Kumpel auf der anderen Straßenseite: "Hey, Otto, komm mal hoch. Bring Eddie mit, und er soll seine Schallplatten mitbringen, Du weißt schon, welche ich meine!" 

 

Wenig später hängt der Geruch von Berliner Pilsner und scharfem Korn im Hausflur, während die Tür offen steht und die Nachbarn einen Blick riskieren. Das Fass läuft über, als Sabine mit dem Korn in der Hand Bernds Brief mit verschwommenen Augen liest: Bernd hat viel nachgedacht und kommt vorerst nicht nach Hause.

🍺

Eddie grinst breit und hält ein frisch geöffnetes Pils in der Hand:

 „Komm schon Sabine, lass die Kleine doch mal schreien. Du brauchst auch mal deinen Spaß. Und steck die Jungs ins Bett, wir ziehen ne Runde um den Block!“

Sabine lacht, obwohl der Kloß in ihrem Hals nicht weichen will. "Ach, was soll's!" Sie nimmt noch einen kräftigen Schluck, bis genug Wärme ihren Körper erfüllt: „Na - läuft doch. Ich bin heute die Letzte, die geht.“

Es wird dunkel und Sabine ist bestens darauf vorbereitet, sämtliche Fehler des Abends mit Vollgas anzugehen.

Derweil in der Altberliner Wohnung:

"Hey Jungs, hey, hallo - ihr da, ihr zwei. Ich bin ein Baby und schreie, kommt doch mal her, habt ihr vielleicht ‘n Müsliriegel oder sowas? Ich bin am Verhungern. Wo ist denn diese Frau, die hier immer so rumschreit und Chaos macht und manchmal ein Fläschchen für mich hat? Hallo… Ich hab das Höschen voll. Könnt ihr das wechseln? Ich muss sonst noch lauter schreien, weil ich schon wund bin und mein Popo brennt wie Feuer."

 

Diese beiden Dreikäsehoch, die 1966 an Janins Bettchen stehen, haben selbst noch die Windeln voll und nichts Essbares dabei. Die knapp vier Monate junge Janin wird in ihrem Leben nie erfahren, wer ihre Halbbrüder sind oder waren. 

 

Sabine kommt wieder nach Hause, ist aber nicht in der Lage, etwas Effizientes zu tun. Die Kloschüssel ist heute Nacht ihr  Begleiter. Doch nach ein paar Tagen, in denen das WC ihr Begleiter bleibt, wird ihr klar, dass nicht mehr der Alkohol aus ihr bricht.

 

Mit jedem Monat wird Sabines Bauch runder und ihre Stimmung launischer - als ob das noch zu toppen wäre. Die Realität klopft an, aber Sabine macht selten auf. Mit einem kühlen: "hier haste", erhalten die Kinder nur noch spärliche Versorgungspakete. Einzig, das kleine weibliche Wesen in Sabines Bauch hat Glück, hier entscheidet die Natur, was der Kleinen zusteht.

 

Wir spulen die Zeit ein Stück nach vorn.

Nach einer unkomplizierten Geburt hält Sabine ihr viertes Kind im Arm und lässt es an ihrer Versorgungsstation nuckeln. Janin und ihre Halbbrüder sind stiller geworden, denn es fehlt ihnen an der nötigen Energie, und die Angst steht in ihren kleinen Gesichtern geschrieben. Janin hockt in ihrer schützenden Versteck-Ecke und weint nur noch leise, weil der Atem nicht ausreicht, um mehr Luft zu holen. Aber ihre kleine Schwester Kerstin kann es umso lauter.

 

Sabines Muttergefühle sind längst in die Dunkelheit abgetaucht. Sie überhört die Stimmen ihrer Kinder und schaut sich um. In ihrer Wohnung ist ein Chaos aus Wäsche und Müll. Auf dem Küchenboden liegen volle Baumwollwindeln. Überholte Rechnungen liegen zerstreut auf dem Wohnzimmertisch.

Sie steht neben dem Gashahn - und hat den Finger am Abzug. Keiner müsste leiden. Es würde schnell gehen. Oder nicht? Sie wacht aus diesem Gedanken auf und erstarrt vor Schreck.

Ihr Herz rast - sie muss ganz schnell raus hier! Ohne Jacke, ohne Schuhe, ohne Tasche rennt Sabine durch die Tür der Altberliner Wohnung. Sie knallt die Tür zu, lässt den Schlüssel stecken und kehrt nicht mehr zurück.

 

Es vergehen Wochen, als Bernd nach Hause kommen und mit Sabine rechtliche Dinge klären will. Er klingelt, aber niemand öffnet die Tür.


Er kann sich noch an die nette Nachbarin erinnern und klingelt an der Tür von Frau Herbst.

 "Ach, Tag Junge, biste wieder zurück?" Frau Herbst muss ihre Worte ordnen:

"Wie soll ich sagen, tut mir leid, Junge. Hier war das Jugendamt und die Polizei. Man, ich sag dir, das war ne Sache. Die haben die Kinder aus der Wohnung geholt. Und, ich glaub, deine Frau ist verhaftet. Wir mussten die Polizei rufen, die Kinder haben in der Wohnung geweint und geschrien, und Sabine kam nicht mehr nach Hause."

Während Frau Herbst noch spricht, entfernen sich ihre Worte, und Bernd verliert den Halt. Einen Moment lang kommt es ihm vor, als würde er im Kino sitzen - und schaut den schlechtesten Film aller Zeiten.

Frau Herbst holt ihn mit lauter Stimme zurück: "Haste gehört, Junge, du musst mal bei der Polizei nachfragen!"

Bernd blickt mit leeren Augen zu Frau Herbst: "Was? Ach so, ja, muss mal nachfragen."

 

Es gibt nicht genug Kneipen in der Stadt, um die Realität zu verdrängen. Langsam kommt er darauf, dass dieser Film zu seinem Leben gehört.

Er braucht drei Tage, um nüchtern zu werden. Wäre blöd, in diesem Zustand beim Jugendamt aufzutauchen. Sein erster Gedanke, kurz nach der Aufwachphase ist: Janin! 

"Ich muss zuerst zum Jugendamt. Ich muss wissen, wo Janin ist." 

Vor der Tür des Jugendamtes liegen ein Haufen ausgetretener Zigarettenstummel. "Sind die alle von mir?" fragt sich Bernd, während er überlegt, welche Wahrheit ihn in dem Gebäude erwartet.

Das Beamtenfräulein ist noch recht jung, aber sie trägt ihre Brille bereits wie eine reife Amtfrau. Bernd hat Mühe mit seiner Frage, und die Beamtin mustert Bernd und seinen Ausweis kurz und sagt:

"Moment, junger Mann, ich hole mal die Akte."📒

Es dauert ein paar Minuten. Bernd überlegt, ob es sich lohnt, nach draussen zu gehen und noch eine Zigarette zu verbrennen. Aber die junge Frau ist schon wieder zurück: 

"Also, durch das Gesetz sind uns die Hände gebunden, Ihnen Auskunft zu erteilen, denn ihre Kinder sind nun in Obhut des Jugendamtes, alle vier. Ihnen beiden als Eltern wurden per Gesetz die Erziehungs- und Aufenthaltsrechte für die Kinder entzogen, um die Kinder zu schützen. Nur so viel, wir mussten alle Kinder voneinander getrennt unterbringen...",

Die Beamtin schluckt kurz:

"...und die beiden kleinen Mädchen sind vorerst im Krankenhaus. Sie brauchen medizinische Versorgung.

Ach so, und ihre Frau sitzt in Untersuchungshaft. Aber das hat die Polizei Ihnen bereits mitgeteilt, oder?"

Bernd überhört den Satz mit der Untersuchungshaft und fragt verwundert:

"Aber es waren drei Kinder, die Jungs und meine Tochter. Ich möchte das Sorgerecht für meine Tochter. Ich hab das nicht verschuldet. Ich möchte meine Tochter sehen!"

Als ob sie schon Jahre älter wäre als Bernd, fragt die junge Beamtin:

"Wie alt sind Sie jetzt, Bernd? Ist eine zweite Person berechtigt, Ihr Kind mit zu unterhalten? Nein? Wieviel verdienen Sie allein? Sind Sie immer zu Hause? Können Sie gewährleisten, dass Sie vollständig für ihre Tochter sorgen und jederzeit für sie da sein können? Haben Sie Erfahrung in der Erziehung mit ihrer Tochter?"

Bernd hört ihre Worte. Sein Körper steht noch, aber in ihm ist alles zusammengesackt.

In diesem mündlichen Fragebogen ist Bernd glatt durchgefallen.

Bernds leere Zigarettenschachtel gesellt sich zu dem Zigarettenhaufen vor der Tür des Jugendamtes. Er realisiert nur schwer, dass er seine Tochter weder sehen noch besuchen darf.

 

Er weiß nicht, dass es 33 Jahre dauert, bis er seine Tochter wieder in den Arm nehmen darf.

 

Kapitel 2 folgt als Buchbandausgabe